Datev KI

Seit Anfang März ist ChatGPT 4 auf dem Markt. ChatGPT 5 wird demnächst erwartet. Die Entwicklung ist rasant. ChatGPT besteht Prüfungen, schreibt und erklärt Texte. Das Datev Magazin sprach mit Steuerberater, KI-Experte und Taxpunk Stefan Groß von Peters, Schönberger & Partner darüber, was die Entwicklung vor allem für den steuerberatenden Berufsstand bedeutet.

Das Interview führten Kerstin Putschke und Birgit Schnee

 

DATEV magazin: Generative KI wird branchenübergreifend für weitreichende Veränderungen sorgen. Wird KI die Welt verändern?
STEFAN GROSS: Ich traue mir kein Urteil darüber zu, ob KI die Welt verändern wird, aber KI wird auf unsere Tätigkeiten, wie wir sie heute kennen, einen enormen Einfluss ausüben. Und das mit allen Chancen und Risiken. Als im Dezember 2022 in den sozialen Netzwerken erstmals über ChatGPT berichtet wurde, ging ich zunächst von einem weiteren Hype aus. Doch mit dem Sprachmodell ChatGPT hat eine gänzlich neue KI-Gattung die Weltbühne betreten. Die sich daraus ergebenden Möglichkeiten werden auch den Berufsstand des Steuerberaters, aber auch den Steuerbereich insgesamt verändern. Die große Chance: Wir alle kämpfen mit knappen Personalressourcen, und der gezielte Einsatz von Technologie kann dazu beitragen, die demografische Entwicklung etwas abzufedern.

Eine philosophische Frage vorweg, bevor wir uns den Auswirkungen auf die Steuerberatung widmen: Wie wollen wir als Gesellschaft mit dieser Technologie umgehen, wie wollen wir sie nutzen?
Entweder setzt man sich positiv damit auseinander und gestaltet mit oder man tritt neuen Entwicklungen wie KI ablehnend gegenüber. Ich empfehle ganz klar, dass man sich damit verantwortungsvoll und reflektierend auseinandersetzt. Deswegen war auch der Weg Italiens, ChatGPT eine gewisse Zeit zu verbieten, aus meiner Sicht der falsche Weg. Verbote sind eher kontraproduktiv. Wir müssen vielmehr lernen, wie wir mit KI umgehen, wie wir KI in unseren Arbeitsalltag integrieren, und wir müssen vor allem KI als festen Bestandteil in die Aus- und Fortbildung integrieren, sowohl in den Schulen als auch an den Universitäten und in den Kanzleien.

Noch ist die Qualität der ChatGPT-Antworten vielfach ungenügend und eine Verifizierung sehr aufwendig. Aber das System lernt und die Qualität wird rasant besser. Wie wird KI zum intelligenten Assistenten, gerade auch für Steuerberater?
Hier muss man zwei Dinge unterscheiden: zum einen Tätigkeiten oder Aufgaben im Tagesgeschäft, die keinen Bezug zum materiellen Steuerrecht oder zum Mandanten haben, und zum anderen Aufgaben, die Bezug zum materiellen Steuerrecht oder zum Mandanten haben. Für Ersteres ist KI, beispielsweise auch ChatGPT, bereits heute ein brauchbarer Assistent. So nutze ich ChatGPT beispielsweise zur Erstellung von Zusammenfassungen von Aufsätzen und Urteilen oder zum Transkribieren von YouTube-Tutorials. Das spart enorm Zeit. Das geht allerdings nur mit nicht vertraulichen Informationen, die keinem Mandatsgeheimnis unterliegen oder den Datenschutz verletzen. Davor, Informationen mit Mandantenbezug in ChatGPT einzugeben, rate ich dringend ab. Die Server liegen im Drittland, überwiegend in den USA, der Datenschutz ist nicht geklärt. Zudem wurde die aktuelle Version ChatGPT 4 noch nicht mit deutscher Steuerfachliteratur trainiert. Hier bestimmte Ergebnisse zu erwarten, wäre illusorisch. Im nächsten Schritt muss es entsprechend darum gehen, Technologie und steuerliche Inhalte der großen Verlage miteinander zu verbinden. Wenn das dann in einer sicheren Umgebung passiert, die datenschutzkonform ist, die Vertraulichkeitsaspekte berücksichtigt, dann werden wir aus steuerlicher Sicht gänzlich neue Möglichkeiten haben.

Noch besteht das Risiko, dass kritische Unternehmens oder Mandantendaten nach außen an Unbefugte gelangen. Ist eine Regulierung notwendig?
Natürlich braucht es eine Regulierung. Allerdings verlangt dies viel Fingerspitzengefühl, damit man nicht überreguliert. Die Regulierung sollte meiner Meinung nach so ausfallen, dass sie klare Leitplanken für den Einsatz von KI-Lösungen vorgibt. Sie muss aber auch so viel Freiraum geben, dass wir in Europa die Technologie auch nutzen und die Lösungen einsetzen können und uns im Vergleich mit anderen Ländern in der Nutzung und Entwicklung kein Nachteil entsteht.

Wie werden sich Aufgaben und Prozesse künftig für Kanzleien ändern?
Digitalisierung und KI-Skills gehören für mich generell in die Ausbildung der Steuerfachangestellten, Steuerfachwirte und Steuerberater. Warum? KI wird künftig nicht nur standardisierte und repetitive Tätigkeiten übernehmen, sondern auch wissensbasierte Tätigkeiten wie etwa die Vorbereitungen von Gutachten oder das Erstellen von Memos. Das bedeutet, dass sich das Tätigkeitsfeld des typischen Steuerberaters ein wenig verschiebt: weg von der Erstellung hin zum Review. Ganz gleich, wie gut die KI jedoch ist, das, was die Maschine ausgibt, muss durch ein Vieraugenprinzip genau geprüft werden. Aber das ist nicht neu. Wenn ich heute einen noch unerfahrenen Mitarbeiter einen Text erstellen lasse, muss ich das ebenso überprüfen. Das heißt, künftig reviewe ich nicht den Mitarbeiter, künftig reviewe ich die Maschine. Dafür brauche ich jedoch auch in Zukunft fachlich gut ausgebildete Mitarbeiter. Daneben sollten wir die Aus- und Fortbildung darauf fokussieren, was uns von der Maschine unterscheidet: Empathie, Einfühlungsvermögen, Interpretationsspielräume nutzen, Abwägungen treffen. Das wird die Maschine auch auf absehbare Zeit nicht beherrschen. Wenn wir diesen Mix aus fachlicher, empathischer und digitaler Ausbildung gut hinbekommen, dann sind junge Menschen für die Zukunft gut aufgestellt.

Werden sich Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte dank KI stärker auf das eigentliche Beratungsgeschäft konzentrieren können?
Ich bin der Meinung, dass viele Steuerberater viel zu wenig beraten und zu viel ihrer wertvollen Zeit in Buchführung und Jahresabschlusserstellung investieren oder, besser gesagt, investieren müssen, da ihnen die Personalkapazitäten fehlen. Technologie kann hier künftig Freiräume schaffen, indem der Berater die Möglichkeit erhält, ausgewählte Tätigkeiten an die Maschine zu delegieren und sich dadurch verstärkt Beratungsthemen zu widmen. Mit den entsprechenden Skills lassen sich damit auch neue Geschäftsfelder erschließen, allen voran die Prozess- oder Digitalisierungsberatung.

Das bedeutet aber auch, dass beispielsweise Steuererklärungen auch selbstverständlicher von Laien erstellt werden können. Was heißt das für das künftige Berater-Mandanten-Verhältnis?
Wir werden zeitnah KI-Lösungen sehen, die uns auffordern, Belege abzufotografieren, und eine Lohnsteuerbescheinigung, eine Handwerkerrechnung, die Bescheinigung der Krankenkasse oder Sonderausgaben erkennen, und diese zusammenführen. Vermutlich wird auch der Mandant Schriftstücke zunehmend mit künstlicher Intelligenz entwerfen und den Steuerberater um Prüfung bitten. Dabei müssen wir uns allerdings immer vor Augen führen, dass es sich bei allem, was KI generiert, um eine Wahrscheinlichkeitsberechnung handelt. Das heißt, die KI erstellt den wahrscheinlichsten Text. Der wahrscheinlichste Text ist aber nicht unbedingt fachlich und sachlich korrekt. Es muss also immer jemanden geben, der die fachliche Expertise hat, den Output der KI abschließend zu prüfen. Das ist der Steuerberater.

Viele Ihrer Berufskollegen beobachten die Entwicklung zunächst noch verhalten. Sie haben sich die Technologie frühzeitig zunutze gemacht und sind inzwischen Experte. Warum haben Sie keine Berührungsängste? Schüchtert Sie diese rasante Entwicklung nicht ab und zu ein?
Als Unternehmer schüchtert mich das keineswegs ein. Natürlich bin ich der Auffassung, neuen Technologien erst einmal reflektierend, kritisch und verantwortungsvoll zu begegnen. Dafür müssen wir uns jedoch mit der Technologie beschäftigen. Ich kann nur jeder Kanzlei empfehlen, KI als Handreichung anzunehmen, auch um den zunehmend knapper werdenden Personalressourcen entgegenzuwirken, und mit einem positiven Mindset an das Thema heranzugehen. Dabei scheint eines klar: KI wird den Steuerberater nicht ersetzen, aber es wird Unterschiede geben zwischen Kanzleien, die KI einsetzen, und solchen, die es nicht tun. So ist davon auszugehen, dass der Mandant künftig sehr viel schneller Ergebnisse erwarten wird. Dazu unterstelle ich, dass das Modell Stunde mal Stundensatz in den Bereichen, in welchen Tätigkeiten an die KI delegiert werden, unter Druck geraten wird.

Was empfehlen Sie Ihren Berufskollegen, gleich ob Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt?
Meine Prognose ist, dass wir noch 2023 erste Lösungen kombiniert aus Technologie und steuerlichem Content sehen werden. Um ihre Skills zu trainieren, sollten Berater ChatGPT und Co. mit unkritischen Inhalten ausprobieren: einfach einen ChatGPT-Account anlegen, sich YouTube-Tutorials ansehen, den Leitfaden von TAXPUNK nutzen und sehen, was passiert, wenn ich unterschiedliche Fragen eingebe, Fragen spezifiziere und mit der Maschine in Interaktion trete.

Zu den Autoren
Kerstin Putschke

Chefredakteurin DATEV magazin
Birgit Schnee

Redaktion DATEV magazin

 

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